15. August 2018

Erstes Internationales Symposium “Konsequenzen der Bombardierung des ehemaligen Jugoslawiens mit abgereichertem Uran 1999”, Nis/Serbien, 17. – 19. Juni 2018

Artikel

Das Symposium brachte Experten aus Serbien, Russland, Deutschland, der Schweiz, Zypern und Italien zusammen, um mögliche humanitäre Schritte zur Hilfe für die Opfer der Bombenangriffe mit abgereichertem Uran (DU) und die Option möglicher Gerichtsverfahren zu diskutieren. Die Veranstaltung war sehr erfolgreich und wurde von russischen, serbischen und chinesischen Journalisten begleitet; es gab eine große Medienresonanz  in Serbien.  Über drei Tage hatten inländische und internationale Beteiligte die Möglichkeit, sich zusammenzuschließen und ihre Arbeit zu präsentieren und zu diskutieren. ICBUW wurde durch Professor Manfred Mohr vertreten, dessen Expertise von den serbischen Kollegen sehr geschätzt wurde. ICBUW hatte häufig Bedenken über den Gebrauch von DU auf dem Balkan geäußert und die Konferenz bot eine gute Möglichkeit, Einblicke in das häufig vernachlässigte auszutauschen.

Hintergrund

Während des Krieges in der ehemaligen Föderativen Republik Jugoslawiens wurde 1999 im Rahmen der NATO-Operation “Allied Forces” Uranmunition verwendet, speziell durch US-amerikanische A-10-Kampfflugzeuge. Nach von der NATO veröffentlichten Untersuchungen und Daten wurden 10-15 Tonnen giftiger und radioaktiver Stoffe auf verschiedene Ziele im heutigen Serbien, dem Kosovo, Montenegro und Bosnien-Herzegowina abgeschossen. Die meist industriellen Ziele befanden sich oft in stark besiedelten Gegenden, wodurch die Bombenangriffe den Wohnraum vieler Menschen kontaminiert haben.

Obwohl Dekontaminierungsprojekte durchgeführt wurden, um die Risiken für die Zivilbevölkerung und die Umwelt zu verringern, hat nach Meinung serbischer Ärzte die Bevölkerung immer noch mit den gesundheitlichen Langzeitfolgen zu kämpfen. Während eine komplette Dekontaminierung fast unmöglich ist, kam erschwerend hinzu, dass Informationen über die bombardierten Ziele zu spät und teilweise unvollständig veröffentlicht wurden. UNEP (United Nations Development Program) veröffentlichte nach dem Konflikt drei Berichte, die auch konkrete Vorschläge zur Dekontaminierung enthielten. Allerdings fand ICBUW während einer Vor-Ort-Untersuchung 2011 heraus, dass die Vorschläge nicht vollständig umgesetzt wurden und stellte starke Defizite bei der Langzeitüberwachung fest (ICBUW, “A Question of Responsibility”).

Viele Menschen in den betroffenen Gebieten des ehemaligen Jugoslawiens kamen aufgrund dessen in Kontakt mit der giftigen Substanz, die möglicherweise in deren Körpern weitergetragen wird und sich sogar auf die nachfolgende Generation in Gestalt einer höheren Rate von Geburtsfehlern übertragen kann. Der kontaminierte Boden und das Grundwasser können immer noch Menschen mit Rückständen von abgereichertem Uran kontaminieren.

In Serbien sind deutlich weniger Regionen mit DU belastet als zum Beispiel im Kosovo und es  wurde wesentlich mehr Dekontaminierungsarbeit geleistet. Nichtsdestotrotz schreiben Ärzte auch heute noch, mehr als 20 Jahre später, die angestiegene Krebserkrankungsrate und andere Krankheiten dem abgereicherten Uran zu. Es gibt immer noch wenige Informationen über die Situation der Bevölkerung im Kosovo, wo viele Menschen aus den kontaminierten Regionen geflohen sind, während die ärmsten Familien dort verbleiben mussten. ICBUW und Els de Groen, ein ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments, schlugen 2017 ein Projekt vor, alle Daten über Gesundheitseffekte in Gemeinden des Kosovo zu sammeln. Der Vorschlag befindet sich noch in der Diskussion.

Reaktionen und italienische Fälle

Erste unterschiedliche Reaktionen auf die NATO-Operation waren eher enttäuschend. Nach den Bombenangriffen 1999 beschäftigten sich die Medien mit dem Thema DU, woraufhin die NATO als Reaktion ein Ad-Hoc-Komitee über abgereichertes Uran gründete, welches zu dem Schluss kam, dass “kein wissenschaftlicher Zusammenhang zwischen abgereichertem Uran und Gesundheitsbeschwerden besteht”. Auch der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien leitete keine weiteren Untersuchungen über den Einsatz von DU ein, in Übereinstimmung mit dem Abschlussbericht der Anklagebehörde. Außerdem reichte Jugoslawien eine erste Klage vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) gegen 10 involvierte NATO-Mitglieder zur Rechtmäßigkeit der Gewaltanwendung ein, die der Gerichtshof jedoch ablehnte.

Das Bild änderte sich mit Urteilen italienischer Gerichte in diversen Fällen über die Kausalität zwischen DU und verschieden Krebsarten. Italienische Rekruten waren an den wenigen Räumungsarbeiten im Kosovo beteiligt und eine große Zahl von ihnen erlitt danach Krankheiten, die auf DU zurückgeführt werden können. Viele dieser Rekruten zogen vor Gericht und in bisher 20 Fällen wurde ihnen eine Entschädigung zugesprochen. Somit ist es nicht nur die Bevölkerung, sondern es sind auch die eingesetzten Soldaten, die unter den Einsatz von DU leiden (beschrieben als Balkan- oder Golfkriegssyndrom).

Ziel der Konferenz

Der Hauptorganisator des Symposiums, Prof. Dr. Srdan Aleksic, baute sich eine Reputation als Anwalt in Serbien auf, wobei er sich hauptsächlich mit Fällen sozialer Rechte befasst. Er sieht die DU-Bombardierungen als eine klare Verletzung internationaler Konventionen, weil der Bevölkerung und der Umwelt langzeitlich Schaden zugefügt wurde und aus diesem Grund hat er sich der Hilfe der Opfer gewidmet, die er oft  persönlich kennt, und kämpft für deren medizinische Versorgung – wenn alle Stricke reißen auch mit rechtlichen Mitteln. Obwohl zahlreiche Zeitungen schon darüber berichteten, dass nach 20 Jahren Serbien die NATO auf Schadensersatzzahlungen für die betroffene Bevölkerung und die verschmutzte Umwelt verklagen wird, ist das Unterfangen nach wie vor sehr kompliziert.

Dr. Aleksic und seine Kollegen sind sich darüber im Klaren, dass das Projekt nicht ganz einfach ist. Sie alle sind nicht in erster Linie an Prozessen interessiert, sondern an Hilfe für die zivilen Opfer und die Stigmatisierung von Uranwaffen an sich. Während der Konferenz wurden, gemeinsam mit den anwesenden internationalen Kollegen und Experten, mögliche Schritte besprochen – rechtliche Möglichkeiten auf der einen, notwendige humanitäre Aktion auf der anderen Seite.

Während eines vortragreichen Tages mit serbischen und internationalen Experten an der Universität von Nis, wurden vom Militär, Juristen, Ärzten und Aktivisten Arbeiten in verschiedenen Bereichen zu den Konsequenzen der Bombardierungen präsentiert, begleitet von detailreichen, oftmals auch entmutigenden Beschreibungen des entstandenen Schadens, einschließlich statistischer Daten und von Stimmen der Opfer. Im Rahmen dieser  umfassenden Erörterung fanden erste Vorschläge für mögliche Schritte und Herangehensweisen ihren Weg in die Diskussion, darunter konkrete politische Maßnahmen (wie etwa ein spezielle DU-Komitee und damit verknüpfte Zentren, die in Serbien errichtet werden sollen).

Mit seinem Vortrag über Uranwaffen und deren rechtliche und politische Perspektive war es dem Sprecher von ICBUW, Professor Manfred Mohr, möglich, die Rahmenbedingungen und auch Anregungen vorzustellen. Während des Treffens am darauffolgenden Tag wurden mögliche (rechtliche) Schritte im Detail diskutiert.

Falls die serbischen Anwälte versuchen sollten rechtliche Verfahren einzuleiten, ist es fraglich, welches Gericht sich dieser annehmen wird. Nationale Gerichte (der NATO-Mitgliedsstaaten) werden wohl die Zuständigkeit mit dem Argument des internationalen oder zwischenstaatlichen Charakters der Fälle, die von einzelnen Opfern vorgetragen werden, von sich weisen. Im Hinblick auf die internationale Ebene steht die Idee eines ad-hoc-Tribunals im Raum, während es nicht sehr realistisch erscheint, an den Internationalen Gerichtshof zurückzukehren. Vielleicht sollte man eher einen Blick auf das Potential von Menschenrechtsmechanismen werfen (jenseits von gerichtlichen Verfahren; zum Beispiel im Rahmen des UN-Menschenrechtsrates). Die Konferenz ermöglichte jedenfalls eine vielfältige Diskussion sowie hilfreiche Beratung. Nach der Basisarbeit muss nun das serbische Projektteam seine Optionen prüfen. ICBUW wird weiterhin für zusätzlichen Input und enge Zusammenarbeit zur Verfügung stehen, unter anderem durch eine gemeinsame Ausarbeitung eines “Strategiepapiers”.

Zusammenfassung

Das Trauma des NATO-Bombenangriffs ist in Serbien nach wie vor fest verankert und ein Weg, mit der Vergangenheit abzuschließen, existiert kaum. Dr. Aleksic berichtet, dass bis heute viele Serben nicht über die NATO-Bombardierungen sprechen wollen. In dieser Hinsicht stellt diese internationale Konferenz einen ersten wichtigen Schritt dar. Selbst Jahrzehnte später zeigen die Langzeitfolgen von DU sowie die jüngste Verwendung von DU-Munition in Syrien vor drei Jahren, dass es nach wie vor weiterer Diskussion und Aktion bezüglich Uranwaffengebrauchs bedarf, besonders in Bezug auf den Umgang mit den Konsequenzen und die Hilfe für die Opfer.