30. Oktober 2015

Toxic Remnants of War Netzwerk: Eine Neukonzeption der Umweltschutzhilfe in Post-Konflikt-Situationen

Bericht

Anlässlich des UN Tages zur Verhütung der Ausbeutung der Umwelt in Kriegen und bewaffneten Konflikten, stellt das Toxic Remnants of War Netzwerk seinen Bericht zur Weichenstellung für die zukünftige internationale Arbeit gegen toxische Umweltzerstörung durch Kriege vor. Wir durften vorab schon eine Zusammenfassung veröffentlichen:

Umweltverschmutzung und –zerstörung durch Konflikte hat immense Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. Sie verliert den Zugang zu den Ressourcen, die sie zum Überleben braucht, wie Wasser und landwirtschaftliche Flächen, und wird gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt. Denn Umweltverschmutzung führt zu akuten und langfristigen Gefahren für öffentliche Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensgrundlagen. Diese humanitären Auswirkungen sind direkt mit Umweltschutz verlinkt und dürfen nicht länger als separate politische Ziele betrachtet werden.

Derzeit sind Kriegsparteien in ihrer Kriegsführung nur durch einige wenige Umweltschutzregelungen eingeschränkt. Das Ergebnis ist ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen der wahrgenommenen militärischen Notwendigkeit und dem Gebot des Umweltschutzes. Ohne Fortschritte im rechtlichen Schutz der Umwelt wird dieses Ungleichgewicht auch in Zukunft bestehen bleiben. Die Auswirkungen sind teils gut sichtbar, etwa bei vorsätzlichen Angriffen auf Industrieanlagen. In anderen Fällen sind die Schäden eher subtil und kumulativ.

Der Rechtsschutz für die Umwelt während Konflikten wird weitgehend als unzureichend angesehen. Eine jahrzehntelange Diskussion, wie dieser Rechtsschutz gestärkt werden kann, wurde 2009 durch eine Analyse der rechtlichen Lücken von dem UN Umweltprogramm UNEP erneuert. Bisher fokussierte sich die Debatte vor allem auf die Anwendbarkeit und Nützlichkeit der bestehenden rechtlichen Regelungskomplexe, dem humanitären Völkerrecht, dem Umweltvölkerrecht, sowie der Menschenrechte. Allerdings kann die Art und Weise, wie die internationale Gemeinschaft Kriegsschäden an der Umwelt überwacht, ihre Auswirkungen bewertet und Unterstützung und Behebung bereitstellt, ebenso Anhaltspunkt für eine Stärkung des Umweltschutzes sein.

Obwohl diese aufgefrischte Debatte eine willkommene Entwicklung darstellt, birgt sie auch Risiken. Das erste Risiko bezieht sich auf den Umfang der Themen, denn der Zusammenhang von Konflikten und Umweltverschmutzung ist sehr breit gefächert. Dadurch wird es schwierig, sich auf jene Bereiche zu fokussieren, in denen Fortschrittspotenzial zu finden ist. Das ist ganz besonders dann der Fall, wenn sie auf kurzen Expertentreffen oder Seminaren behandelt werden. Vor diesem Hintergrund haben wir uns entschieden, unsere Arbeit auf die humanitären Folgen von Umweltverschmutzung in Kriegen zu konzentrieren. Dabei sind viele unserer Beobachtungen und Vorschläge natürlich auch für andere Formen von Kriegsschäden relevant.

Inwieweit dieser anthropozentrische Ansatz auch den Schutz der natürlichen Umwelt sichern kann, muss noch erprobt werden. Die Geschichte von Umwelt- und Abrüstungsinitiativen legt jedoch nahe, dass eine klare Definition der humanitären Notwendigkeit von Umweltschutz einen überschaubaren Rahmen für eine sinnvolle Debatte und politische Entwicklung bieten kann.

Das zweite Risiko des aktuellen Diskurses besteht darin, dass eine Überanalyse der Anwendbarkeit von bestimmten Rechtsgebieten oder Vertragssystemen einen konzeptionellen Käfig bilden kann. Statt zu prüfen, ob diese auf kriegsbedingte Umweltschäden anwendbar sind, wollen wir überlegen, wie diese Prinzipien verwendet werden können, um ein neues System der Post-Konflikt Hilfe zu stärken. Als Ergänzung dieses Ansatzes berücksichtigen wir auch die Mechanismen und Strukturen von bestehenden Umweltschutz- und Abrüstungsvereinbarungen und übertragen diese in ein neues hypothetisches System des humanitären Umweltschutzes in Post-Konflikt Situationen.

Wir wollen eine fokussierte Debatte darüber anregen, wie zukünftige Versuche, kriegsbedingte Umweltschäden zu beseitigen und neue, schadensminimierende Verhaltensnormen zu schaffen, gestaltet werden müssen. Unsere Empfehlungen kommen aus drei Jahren Forschung und Recherche als Toxic Remnants of War Project. Dies ist keine Liste von Forderungen für zukünftige Initiativen, sondern die Hervorhebung von Themen, die unserer Meinung nach umfassender berücksichtigt werden sollten. Wir danken allen, mit denen wir diese Beobachtungen und Ideen in den letzten Jahren diskutieren durften.

Empfehlungen

  1. Staaten sollten prüfen, inwieweit das UN System die Umweltdimension von Frieden und Sicherheit behandeln kann.

Es gibt eine Reihe von Mängeln in dem Umgang der internationalen Gemeinschaft mit Umweltschäden im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten. Wesentliche Verbesserungen könnten auf verschiedenen Ebenen im gesamten UN System durchgeführt werden, zum Beispiel durch die effektive Einbeziehung von Umweltbelangen in die Mandate der Friedenssicherungstruppen. Es muss geprüft werden, ob UNEP ausreichend Ressourcen und Mandatskompetenzen zur Verfügung stehen, um die ökologischen und humanitären Auswirkungen eines möglichst breiten Spektrums an Konflikten zu beurteilen. Wo Lücken existieren, sollte die Zivilgesellschaft dazu aufgefordert werden, die Bemühungen von UNEP und anderen UN Organisationen zu unterstützen und ergänzen. Um eine größere Sichtbarkeit und Priorisierung der Umwelt zu erreichen, muss eventuell ein Forum identifiziert werden, in dem Staaten, internationale Organisationen, Zivilgesellschaft und Experten die ökologische Dimension von Frieden und Sicherheit angemessen untersuchen können.

  1. Staaten sollten eine progressive Auslegung der Anwendung von Umwelt- und Menschenrechten voranbringen.

Die lange Debatte hat gezeigt, wie Prinzipien, Gewohnheitsrecht und Präzedenzfälle aus dem internationalen Umwelt-, Menschen- und Abrüstungsrecht neue Herangehensweisen an Konflikt und Umwelt formen können. Dieser progressive Ansatz hat sich auch in den Interventionen mancher Staaten während der Debatten des Sechsten UN Komitees über die laufende Studie der Völkerrechtskommission über den Schutz der Umwelt in Verbindung mit bewaffneten Konflikten gezeigt. Staaten, die den Fortschritt in diesem Bereich unterstützen, sollten die Nützlichkeit und Anwendbarkeit dieser Prinzipien erkennen und in Stellungnahmen in relevanten Foren befürworten.

  1. Unterstützung der Arbeit zur Definierung der humanitären Notwendigkeit für die Stärkung des Umweltschutzes im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten.

Es gibt bereits ein breites Einvernehmen darüber, dass Umweltschäden, sei es in Form von Verschmutzung oder als Verlust von Ressourcen, Kosten für die zivile Gesundheit und den zivilen Lebensunterhalt mit sich bringt. Es ist allerdings fraglich, ob dies angemessen kommuniziert wird. Indem wir die Definition und die Dokumentation von Schäden, und die Art, diese zu kommunizieren, verbessern, können wir ein klareres Bild der humanitären Folgen von kriegsbedingten Umweltschäden schaffen. Dieser Bereich wird zu wenig berücksichtigt, dabei ist er Voraussetzung für sinnvolle politische Anstrengungen, den Rechtsschutz zu stärken. Geber, internationale Organisationen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft müssen ihre wichtige ergänzende Rolle in der Definition und Dokumentation von Schäden wahrnehmen und ihre Kooperation vertiefen, um dieses Ziel zu erreichen.

  1. Staaten sollten bewirken, dass Umweltpraktiker, betroffene Staaten, zivilgesellschaftliche Organisationen und Gemeinden sich in vollem Umfang in den neuen Diskurs über die Stärkung von Umweltschutz im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten einbringen können.

Die Debatte der letzten Jahrzehnte zur Stärkung des Umweltschutzes im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten hat sich in erster Linie auf die juristische Analyse konzentriert oder wurde in Richtung Militärthematik gewichtet, an Stelle von humanitären Erwägungen. Um diesen Fokus zu überwinden, müssen Staaten und internationale Organisationen die Einbeziehung einer breiten Palette von Blickwinkeln ermöglichen. Dies sollte nicht nur die Praktizierenden in den internationalen Organisation, die jeden Tag zu den Themen arbeiten, einbeziehen, sondern auch Sachverstand von betroffenen Staaten, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Vertretern der betroffenen Regionen. Ohne die Inklusion dieser Perspektiven riskiert das Thema, lediglich von akademischem Interesse zu sein und damit weiteren Fortschritt zu erschweren.

  1. Das IKRK (Internationale Komitee vom Roten Kreuz) sollte sein Engagement im Bereich Umwelt und Konflikt fortsetzen und intensivieren.

Das 2011 ausgesprochene Verpflichtungserklärung (Pledge) der Nordischen Regierungen und Rotkreuzgesellschaften, Forschung zu betreiben und Expertentreffen zu Konflikt und Umwelt zu organisieren, hat in den letzten fünf Jahren einen nützlichen Beitrag zur entstehenden Debatte geleistet. Eine zweite Erklärung, diese Arbeit fortzusetzen wäre ein willkommenes Ergebnis der Rotkreuz-Konferenz 2015. Es sollten Anstrengungen unternommen werden, um Staaten und Nationale Gesellschaften außerhalb der nordischen Gruppe einzubeziehen und so einen integrierten und repräsentativen Ansatz zu garantieren. Nationale Gesellschaften sollten überlegen, innerhalb der Bewegung einen Schwerpunkt auf die Thematik zu setzen, um relevantes Fachwissen zu kreieren und zu erhalten. Schließlich sollte die Bewegung als Ganzes zu den Bemühungen beitragen, die humanitären Folgen von kriegsbedingten Umweltschäden zu dokumentieren und definieren.

Autor: Doug Weir, Sprecher Toxic Remnants of War Network

Übersetzerin: Johanna Meier, Büro Berlin, ICBUW Deutschland

Bild-Beschreibung: Eine Erdölquelle auf den Al Maqwa Ölfeldern in Kuweit, die von den irakischen Besatzungstruppen in Brand gesetzt wurde. Im Vordergrund ist ein durch ungesicherte Quellen entstandener See aus Erdöl. Foto: UN Photo/ John Isaac